Pressselection 2005
live pre/review, misc
 

Klingklang
Die verführerische Mathematik des Laptop-Pop: Kreidler spielten in der Zürcher Dachkantine.

Das Erbe, das Kreidler vor genau zehn Jahren antraten, nimmt sich eindrücklich aus: NEU!, Kraftwerk, la Düsseldorf, Der Plan, Pyrolator - Musik aus Düsseldorf stand stets mit einem Bein in der Kunstgalerie, mit dem anderen in der Hitparade. Der Schlüsselbegriff lautet dabei Klingklang. Kraftwerk waren Klingklang. Kreidler sind Klingklang: Musik, die überall laufen kann, ohne zu stören, die aber trotzdem nie unter Muzak-Verdacht steht. Insofern entspricht sie dem Konzept einer 'Musique d'ameublement', wie sie Erik Satie einst entwickelt hatte: Klänge, die zerstreuen, ohne andächtiges Schweigen zu fordern.

Kreidler - auch sie mit Kunstakademie-Vergangenheit und Präsenz in Museen wie dem MoMA oder dem Centre Pompidou - klingen dabei so komplett wie fragmentarisch, wie sich am Samstag zeigte. Versprengte Töne, kurze Intervalle formen sich trickreich, kreisend und mit einer an Spieldosen erinnernden Präzision zu klaren, rhythmisch swingenden Melodielinien. Den fein gewobenen, romantisch-klassizistischen Klang des aktuellen Albums "Eve Future Recall" ordnete das Trio dabei meist einer erhöhten Tanzbarkeit unter. Was den sehr hellen und klaren Stücken keineswegs zum Nachteil geriet.

Viele der konsequent zwischen Kopf und Bauch changierenden Kompositionen begannen mit einem Loop oder gesampelten Geräusch, denen sich in poppiger Minimal-Music-Manier nach und nach die Tonspuren oder -schlieren weiterer Instrumente anfügten. Schicht auf Schicht türmte das Trio mit Schlagzeug, Laptop, Keyboard und Sequenzer, nur um die einzelnen Ebenen mit zunehmender Dauer der Stücke minimal zu verschieben oder gegeneinander zu setzen. Hier wurde mit musikalischen Mitteln im Wortsinn Plattentektonik betrieben. Und immer, wenn diese Musik kurz davor schien, ihre Mitte zu finden, sorgte wieder eine kleine Erschütterung für Unruhe.

Reto Baumann nach Martin Büsser, Züricher Tages-Anzeiger, CH 31.01.2005

 


Zueritip  Züricher Tagesanzeiger, CH 04. 01. 05; New Electronica   Badische Zeitung, D 11. 02. 05

 

Installationen zum Tanzen
Das Elektronik-Trio Kreidler lässt das Cooky's schwingen.

Elf Jahre ist es her, dass sich in Düsseldorf vier Musiker zusammenfanden, um ihre individuellen Vorstellungen von Klängen für das ausgehende Jahrhundert zu realisieren. Dem Zeitgeist der kreativen Kunst- und Musik-Szene entsprechend beschränkte sich Kreidler nicht auf die Entwicklung elektro-akustischer Klangarchitekturen. Vielmehr erfand das Quartett bald auch Bilder zur Musik dazu. Einladungen zu internationalen Video-Festivals folgten, 1999 gewann Kreidlers Clip "Au-Pair" in Oberhausen den zweiten Preis. Konzerte im New Yorker Museum of Modern Art und im Pariser Centre Pompidou untermauerten den Ruf der Konzept-Künstler, die sich auch als Erneuerer des deutschen "Krautrocks" feiern lassen konnten.

Es ist schon eine kleine Überraschung, dass Kreidler ausgerechnet in diesen Tagen im Cooky's auf die Bühne geht. Die jüngste CD "Eve Future (Recall)" stammt aus dem Jahr 2004, ihre Fusion von synthetischen Sounds und klassischen Orchesterinstrumenten lässt sich live allenfalls mit erheblichem Aufwand stimmig inszenieren. Der aktuelle Auftritt als "pure" Elektronik-Formation mit Schlagzeug resultiert aus persönlichen Verbindungen und dem Konzept des Abends. Kreidler, vor einiger Zeit zum Trio geschrumpft, spielt zur Premiere des Partykonzepts "Lundi en Rose", initiiert vom Frankfurter Veranstalter Laiki Kostis. Es bindet den Kreidler-Musiker Detlef Weinrich auch als DJ ins Programm ein und präsentiert eine weitere Live-Performance des Kölner Experimental-Elektronikers Boris Polonski alias Egoshooter.

Mit seinen niedrigen Decken und kleinen Nischen bietet der Kellerclub Cooky's kaum Projektionsflächen für Bilder. So müssen die Sounds von Weinrich, Andreas Reihse und Thomas Klein für sich wirken. Außer dem agilen Schlagzeuger Klein bewegt sich auch auf der Bühne wenig. Nun imitieren Reihse und Weinrich an Laptop, Keyboard, Effekt- und Mixgeräten nicht etwa bewusst die Roboter-ästhetik von "Kraftwerk", Referenzen an die Techno-Ikonen aus der selben Stadt sind aber zuweilen unüberhörbar. Ein cleveres Spiel mit Takten und minimalistischen Motiven, in mehreren Schichten zu transparenten Geflechten geknüpft, bestimmt an diesem Abend Kreidlers Musik. Klare rhythmische Loops werden von Klein aufgeladen und synkopiert, dabei wechselt der Schlagzeuger zwischen versetzten Kantenschlägen, klaren Snare-Akzentuierungen auf zwei und vier und wuchtigen "Four-to-the-Floor-Beats der Bassdrum.

Über die pulsierenden, klickenden Strukturen legen Reihse und Weinrich wiederkehrende Harmonien und fragmentarische Melodien, die mitunter an Ambientmusic erinnern oder sich konventionellen Song-Formaten nähern. Kein Störgeräusch unterminiert den stetigen, hypnotischen Fluss, aus dem Breaks allenfalls sparsam heraus ragen, Wechsel mitunter beinahe unmerklich geschehen, der präzise Schlagzeuger trotz Variationsreichtum maschinenhaft erscheint. Einer suggestiven Repetition wohnt tatsächlich ein imaginäres Crescendo inne, öfter scheinen die Klänge indes so funktional, als seien sie aus einem ursprünglichen Zusammenhang von Film, Tanztheater, Modeschau oder Installation gerissen. Nach einer Weile motivieren sie das überschaubare Publikum dennoch zum Tanzen und damit ist der Zweck der einstündigen "Einlage" immerhin erfüllt.

Norbert Krampf, Frankfurter Allgemeine Zeitung, D 09 2005

 


Frankfurter Rundschau, D 05.09.05

... top.